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Absurde Mehrwertsteuer – 7% auf Pferde, 19% auf Zebras und Esel

In Deutschland gibt es gegenwärtig drei Mehrwertsteuersätze: 0%, 7% und 19%. Letzterer ist der Regelsatz. Die ermäßigte Mehrwertsteuer (auch Umsatzsteuer genannt) wird hierzulande mittlerweile auf eine stetig wachsende Zahl von Produkten (Güter und Dienstleistungen) angewandt. So fallen etwa Krabben und Garnelen auf 7 Prozent, Hummer aber werden voll besteuert (19 Prozent). 

Doch alle Jahre wieder wird in Deutschland eine Debatte über den (ermäßigten) Mehrwertsteuersatz geführt. Selbst das Bundesfinanzministerium wollte diese Umsatzsteuer-Regelung immer wieder reformieren, scheiterte aber stets an politischen Interessen und deren Lobbies. Ein wahrlich schwieriges Unterfangen…  Ernsthaft mit der Umsatzsteuerproblematik hat sich zuletzt die FDP beschäftigt, die vor der Bundestagswahl 2009 die Steuervereinfachung auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Mit am radikalsten ist die FDP-Vorfeldorganisation „Bundesvereinigung Liberaler Mittelstand“ (LIM), sie beschloss im Herbst 2010, Umsatzsteuersystem dergestalt zu vereinfachen, dass es künftig nur noch einen Regelsatz gibt. Zur Höhe des neuen Einheitssatzes äußerte sich der Mittelstandsverband nicht. Was aus dieser Forderung wurde? Nichts…

Geschichte der Umsatzsteuer

Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz wurde 1968 aus sozialen Gründen eingeführt. Neben den meisten Lebensmitteln werden Kulturgüter und auch der Nahverkehr auf diesem Weg quasi steuerlich subventioniert. Mit sieben Prozent liegt der ermäßigte Satz deutlich unter dem Regelsatz von 19 Prozent. Die Steuersubvention soll die Verteilungswirkung der Mehrwertsteuer abmildern: Da Geringverdiener, Rentner und Großfamilien üblicherweise einen Großteil ihres Einkommens für den Konsum aufwenden müssen, trifft sie diese indirekte Steuer besonders. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz betrifft  daher – so die Theorie – vor allem die Güter des täglichen Lebens.

Tatsächlich jedoch folgt die Steuervergünstigung wie der Sprecher des Finanzministeriums, Torsten Albig, sagt, „keiner Logik, sondern ist Ausdruck der Durchsetzungsfähigkeit von Interessen“ („WELT online, 12.11.2007). Mit anderen Worten: Begünstigt wird derjenige, der eine starke Lobby hat.

Merkwürdige Ausnahmen

Insgesamt gilt der ermäßigte Satz mittlerweile für über 50 Produktgruppen. Über die Jahre hat der Gesetzgeber nach und nach absurde Ausnahmeregelungen geschaffen. So sind bei weitem nicht mehr alle Lebensmittel subventioniert. Für Gewürze, Majoran oder Basilikum gilt der niedrige Satz, für Würzmischungen dagegen der Regelsatz. Krabben und Garnelen belegt der Fiskus (zur Fiskus Definition) mit sieben Prozent, Hummer und Langusten dagegen mit 19 Prozent. Nicht einmal alle Kartoffeln sind vor dem Gesetz gleich: für Pflanz- und Frühkartoffeln 7%, für Süßkartoffeln 19%. An der Gerechtigkeit mag auch der zweifeln, der sieht, dass Luxusgüter zum Teil weniger besteuert werden als die Güter des täglichen Lebens: Denn auch Trüffel und Rennpferde unterliegen nur dem 7%-Satz, auf Babywindeln hingegen lasten 19 Prozent Umsatzsteuer. 

Kaum zu begreifen ist auch die unterschiedliche mehrwertsteuerliche Behandlung von Kulturgütern: für Bücher gilt der niedrige Satz, Hörbücher dagegen werden voll besteuert (sie gelten als „Tonträger“). Auch Klassik-CDs sind im Sinne des Steuerrechts keine Kulturgüter, denn auch für sie gilt der höhere Regelsatz. Ganz ernst gemeint hat der Gesetzgeber auch die Differenzierung bei Tieren: ein Esel ist mit 19 Prozent belastet, Maultier oder Maulesel dagegen mit 7 Prozent – ach ja: Pferde sind mit 7% veranschlagt, Zebras jedoch mit 19%. Das ist wirklich amüsant! 

Übrigens: Im Gegensatz zur angekündigten Steuervereinfachung hat die FDP – übrigens zusammen mit CDU und CSU – nach der Bundestagswahl das Steuersystem weiter kompliziert: Hotel-Übernachtungen werden seither nur noch mit 7% veranschlagt. Klientelpolitik? Zumindest „riecht es danach“. Doch auch die CSU sollte mit Kritik sparen: immerhin hat sie ihren „Spezies“ von der Berg- und Seilbahnbranche Ende 2007 ermöglicht, dass auch für die Fahrkarten der Berg- und Seilbahnen sowie der Schlepplifte nur noch der ermäßigte Satz gelten soll…

Grundsätzlich unterliegen die meisten ärztlichen Leistungen nicht (!) der Umsatzsteuerpflicht. Der Grund: Die heilberufliche Tätigkeit ist von der Umsatzsteuer befreit. Doch Vorsicht: Das gilt nicht pauschal. Ärzte sollten deshalb besonders die Kleinunternehmergrenze im Auge behalten.

Zum Schluss noch zwei Mehrwertsteuer-Schmankerl zum Amüsieren:

1. Malbücher für Kinder sind mit 7% Umsatzsteuer belegt, aber Malbücher für Kinder sind mit 19% belegt, sofern „auf mehr als der Hälfte der Seiten“ eine Bastelschere zum Einsatz kommt.

2. Postdienstleistungen „für den typischen Bedarf Privater“ sind mehrwertsteuerfrei, Postdienstleistungen jedoch, die nicht dem typischen Bedarf Privater entsprechen, werden voll besteuert (19%).

 

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