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StreetKid. Fluch und Segen ein Kelly zu sein

In den Neunzigerjahren füllen Jimmy Kelly und seine Geschwister die größten Hallen und Stadien in Deutschland, verkaufen mehrere Millionen CDs und verdienen ein Vermögen. Doch der Erfolg hat seinen Preis: Der „Family“ muss sich jeder unterordnen. Erst nach dem Tod des Vaters, der innerhalb der Familie die Fäden fest in der Hand hielt, schafft Jimmy Kelly den Ausstieg aus der Familienband – und steht vor dem Nichts, denn das Erbe ist weg. In seiner Not besinnt er sich auf seine Wurzeln und zieht wieder als Straßenmusiker durchs Land. In Streetkid erzählt er erstmals, wie er aus seiner größten persönlichen Krise zu seiner wahren Berufung und zu sich selbst findet. Ehrlich, menschlich, sehr persönlich!

Das Buch entstand in Zusammenarbeit mit der Stuttgarter Autorin Patricia Leßnerkraus. Lesen Sie dazu auch das Interview mit der Autorin…

Leseprobe:
»Aus dir wird mal was«, sagte eine ältere Dame mit einem kleinen Hund im Arm zu mir. »Sie erinnern mich an jemanden …«, fügte sie hinzu und warf einen Euro in meinen Gitarrenkofer. Ich bedankte mich und sang weiter. Während des Songs lachte ich innerlich und dachte: »Aus mir war mal was geworden.«
Was die wenigsten Menschen wissen, ist, dass meine Familie, he Kelly Family, vor dem großen Durchbruch in den Neunzigern jahrelang durch die Fußgängerzonen dieser Welt tingelte. Eigentlich wuchs ich dort auf – in den Straßen unserer Welt. Mit sieben drückte man mir das Tambourin in die Hand. Nicht, um darauf zu spielen, sondern, um Geld zu sammeln, während meine Geschwister weitermusizierten. Ich ging nie zur Schule. Mein Vater war stets der Meinung, das Leben zu erleben sollte unsere Schule sein. Mitten unter den Menschen sollten wir aufwachsen. Wir waren zwölf Kinder, ich mittendrin als Nummer sieben.
Wir wurden zur erfolgreichsten sowie bekanntesten Straßenband der Welt und später eine der erfolgreichsten Bands im
Showbusiness der Geschichte Deutschlands und Europas. Über zwanzig Millionen Platten und unzählige Live- und Fernsehauftritte quer durch die größten Arenen Europas – das wurde unser Alltag. Wir teilten die Bühne mit Giganten wie Michael Jackson, Elton John, Aerosmith und Grönemeyer. Mit Pavarotti sangen wir das »Ave Maria«, mit Joe Cocker »Where the eagles ly«. Eric Clapton und Bruce Springsteen gaben uns ihre Privatnummern. Wir hatten einen Jahresumsatz von circa hundert Millionen Euro, gewannen alle Preise, die die Musikszene hergab, und der Gitarrist von Queen nannte uns »he champions«. Die Liste des Erfolgs ist unendlich, und ich könnte drei Bücher über dieses Leben schreiben, aber davon soll es in diesem Buch nicht handeln.

Eines muss ich aber noch anmerken: Einmal hat Tina Turner mich geküsst, und ich habe Tina geküsst. Also, warum bin ich wieder auf der Straße gelandet? Der erste Grund wird sein, dass wir in erster Linie eine Familie waren und keine Band. Als mein Vater im
Jahr 2002 starb, war der Trend schon absehbar. Jeder von uns ging mehr und mehr seinen eigenen Weg. Kathy nahm eine Soloplatte auf, Johnny heiratete und zog nach Spanien. Joey entschied sich für eine Sportkarriere, Paddy ging ins Kloster, Angelo tourte mit eigener Band, Maite heiratete einen Franzosen und zog in das Heimatland ihres Mannes. Um es kurz zu fassen: Wir gingen langsam, aber sicher auseinander. Die Natur nahm ihren Lauf, wie in jeder anderen Familie auch.

Ich blieb bis fast zum Schluss. Außer mir waren es nur noch vier Mitglieder der Kelly Family, die gemeinsam musizierten. Ich entschied mich eines Tages, ebenfalls zu gehen, weil das Verhältnis zwischen uns verbliebenen Geschwistern in der Band immer schlimmer wurde. Wir stritten uns ständig, hauptsächlich um Geld, das Erbe. Hätte mein Vater ein Testament hinterlassen, wäre zwischen uns Geschwistern alles möglicherweise einfacher gewesen.
Wir lebten das Prinzip der »Musketiere«: Einer für alle – alle für einen. Da ich aber kein zweites Standbein für mich aufgebaut hatte, musste ich bei null anfangen. Geld hatte ich keines, war doch he Kelly Family in der Vergangenheit immer mein Versorger gewesen und ich ihrer. Seit ich klein war, lebten wir – was das Geld betraf – immer im vollen Vertrauen zueinander. Ich bekam nie eine Gage, aber ich hatte stets alles, was ich brauchte. Manchmal zu wenig und manchmal zu viel. Wir lebten das Prinzip der »Musketiere«: Einer für alle – alle für einen. Ein halbes Leben lang hatten wir gut funktioniert, doch ohne unseren Vater funktionierte plötzlich nichts mehr. Wir wurden aufgezogen, um alles gemeinsam zu vollbringen. Gemeinsam waren wir stark, aber immer mit dem Papa als Kapitän, der den Familiendampfer sicher durch jedes noch so stürmische Wasser lenkte. Rein rechtlich waren und sind wir bis heute alle gleichwertig, doch recht haben und recht bekommen ist nicht immer selbstverständlich. Jetzt, da der Kapitän nicht mehr da war, wurde die Situation nicht leichter…

In einer Familie gibt es auch Politik, Mord und Totschlag. Es gibt die Kapitalisten, die Kommunisten, die Konservativen und die Maia noch dazu. Doch das Verrückteste war, dass manche Mitglieder der Familie ständig die Partei wechselten, und schon ging alles wieder von vorn los. Allerdings muss ich gestehen, dass ich daran auch nicht unschuldig war. Wie gesagt, ich bin mittendrin, das Sandwichkind. Mir wurde klar, dass es einige Zeit brauchen würde, bis ich endlich das mir zustehende Geld bekommen würde.
In der Zwischenzeit, genauer gesagt, im Jahr 2005, hatte auch ich geheiratet. Mit meiner damals fünfundzwanzig Jahre alten Frau Meike, unserer zweijährigen Tochter Aimee und unserer acht Wochen alten Tochter Máire lebte ich in einer kleinen, billigen Wohnung in Belgien. Die Gefechte mit einigen meiner Geschwister machten mich krank und ließen mich unangenehm werden gegenüber mir selbst und meinen Mitmenschen, um es mal in harmlose Worte zu fassen. Ich wusste, ich musste raus aus der Band und
endlich meinen eigenen Weg gehen. Ich war sechsunddreißig Jahre alt und stand noch immer nicht auf eigenen Füßen. Doch meine Frau und Kinder brauchten mich. Die Stunde der Wahrheit war gekommen: Ich musste endlich ein Mann werden.

Zurück ins Showbusiness wollte ich nicht. Ich hatte genug gesehen, um zu wissen, dass dort nicht alles Gold ist, was glänzt. Außerdem musste ich mich als Individuum entwickeln, innerhalb meiner Familie war das nicht möglich,.Der Wunsch, zurückzukehren zum verlorenen Glück auf der Straße, war schon länger in mir. . Und das Showgeschäft ist wohl der letzte Ort, an dem man sich selbst finden kann. Ich hatte genug vom Showbusiness. Ich wollte weg von der Show, der Oberlächlichkeit, dem Schein. Ich wollte hinein ins wahre, echte Leben. Nur wie so oft im Leben gehen wir selten dem wahren Ruf unseres Herzens nach. Meistens kommt man erst auf diesen Wunsch zurück, wenn sich die äußeren Umstände drastisch verändern. Wer will schon gerne seine Komfortzone verlassen? Meist halten uns unsere Ängste davor zurück, und darum sind wir auch erst bereit, auf unser Herz zu hören, wenn wir es wirklich müssen.

Da in der Kelly Family Umbruch und Chaos angesagt waren, kam mir immer wieder in den Sinn: »Back to the roots, Jimmy, da wolltest du doch schon lange hin zurück!« Sucht ein Mensch nach Orientierung, ist es oft sinnvoll, zur Basis zurückzukehren. Wenn ein Sportler eine Niederlage kassiert, geht er am nächsten Tag immer wieder durch das »Grundlagentraining«. Mönche begeben sich ständig »zurück zur Quelle«.The Kelly Family war im Ursprung eine Band des Volkes und der Straße. Und so dachte ich
mir, dass, wenn ich genug Geld in den Fußgängerzonen für meine kleine Familie verdienen könnte, ich so schon ein kleines Stückchen Glück gefunden hätte.
Kolumbus ging auf die Suche nach Indien und entdeckte Amerika. Ich ging auf die Suche nach meinen Wurzeln und entdeckte …?

Aber lest selbst.
Ach ja, um meine Geschichte mit der alten Dame, mit der meine Einleitung begann, noch zu beenden: Als ich mein Lied zu Ende gesungen hatte, stand die Dame mit ihrem kleinen Hund plötzlich wieder vor mir und sagte: »Jetzt weiß ich übrigens, an wen Sie mich erinnern: an Semino Rossi. Der hat auch auf der Straße angefangen!« Ich packte meine Gitarre in den Kofer und ging. Hätte sie doch wenigstens Bruce Springsteen oder Bob Dylan gesagt …

 

Bernhard Eckert

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